„Vollbremsung von 100 auf 0“ – Symptome, Diagnostik und Therapie von Long COVID und Post COVID
Dienstag,
15. November 2022
Für die meisten Menschen ist die Infektion mit dem Corona-Virus nach etwa 10 bis 14 Tagen ausgestanden. Doch etwa jeder Zehnte klagt nach der Erkrankung über starke Abgeschlagenheit, Gehirnnebel oder andere Symptome, die einfach nicht mehr verschwinden wollen. Diese anhaltenden Krankheitszeichen werden unter dem Begriff „Long COVID“ bzw. „Post COVID“ zusammengefasst. Die Beschwerden können erhebliche Beeinträchtigungen im Alltag mit sich bringen, manche Betroffene werden sogar arbeitsunfähig. Das Gesundheitstelefon bietet einen Überblick über das Krankheitsbild, das noch wenig erforscht ist, und was man dagegen tun kann.
Hier können Sie den Gesundheitstext anhören:
Was versteht man unter Long COVID und Post COVID?
Vom „Long COVID Syndrom“ spricht man, wenn die Betroffenen auch vier Wochen nach einer bestätigten oder sehr wahrscheinlichen Infektion mit dem Corona-Virus noch Symptome aufweisen und wenn es keine andere Erklärung für diese Krankheitszeichen gibt. International anerkannt ist die Unterscheidung zum sogenannten „Post COVID Syndrom“. Davon spricht man, wenn die Long COVID-Beschwerden drei Monate nach der Infektion immer noch bestehen und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren.
Wie häufig ist die Erkrankung und wen betrifft sie?
Gesicherte Erkenntnisse zu den Zahlen liegen noch nicht vor. Aktuellen Einschätzungen zufolge entwickelt jeder zehnte Mensch, der sich mit dem Corona-Virus infiziert hat, ein Long COVID- bzw. Post-COVID-Syndrom. Diese Langzeitfolgen können sehr verschieden sein, sich mit der Zeit verändern und eine unterschiedliche Stärke erreichen. Der Leidensdruck vieler Betroffener ist groß. Nach Schätzungen kann fast die Hälfte der Patientinnen und Patienten sechs Monate nach der Infektion immer noch nicht in Vollzeit arbeiten.
Auffällig ist, dass Long COVID bzw. Post COVID häufiger bei Frauen vorkommt, während an einer akuten COVID-Erkrankung eher Männer leiden. Die Altersgruppe von 30 bis 50 Jahren ist besonders betroffen. Menschen mit Vorerkrankungen, wie Diabetes, Übergewicht oder Asthma, klagen häufiger über Langzeitfolgen einer Corona-Infektion als ansonsten gesunde Personen. Auch eine schwere Akuterkrankung gilt als Risikofaktor.
Welche Symptome treten auf?
Long COVID bzw. Post COVID hat viele Gesichter und kann theoretisch jedes Organ betreffen. Zu den Hauptsymptomen gehören große Erschöpfung (Fatigue), Brain Fog (Gehirnnebel), Störungen der Konzentration und Merkfähigkeit, Atemprobleme, Herzrasen, Schwindel, Empfindungsstörungen, Schlafstörungen und Schmerzen, z.B. in Muskeln, in der Brust oder in Gelenken. Viele der Patientinnen und Patienten leiden unter der so genannten Post-Exertionalen Malaise (PEM), einer plötzlichen, starken Verschlimmerung des Zustands nach körperlicher Anstrengung oder Stress.
Insgesamt können die Symptome solche Ausmaße annehmen, dass der Alltag stark eingeschränkt ist, ein sehr großes Schlafbedürfnis herrscht und längerfristige Pläne oder Verabredungen nicht möglich sind. Ruhe und Schlaf können die Erschöpfung oft nicht mildern. Jedoch ist nicht jeder Tag wie der andere – der Verlauf ist wellenförmig. Einige Betroffene beschreiben ihren Zustand „wie nach einer Vollbremsung von 100 auf 0“.
Was sind die Ursachen?
Inzwischen geht man nicht mehr davon aus, dass es sich um eine psychosomatische Erkrankung handelt. Die genauen Ursachen sind allerdings nach wie vor unklar. In der Wissenschaft wird angenommen, dass sich das SARS-CoV-2-Virus nach der Infektion noch lange im Körper verstecken könnte. Man nennt dieses Phänomen, das auch von anderen Viren bekannt ist, „Persistenz“. Außerdem kommen Autoimmunreaktionen als Ursache in Betracht. Dabei bildet das Immunsystem Antikörper gegen körpereigene Strukturen. Auch eine Störung des autonomen Nervensystems oder eine gestörte Regulation der Durchblutung werden als Krankheitsursache diskutiert.
Wie erfolgt die Diagnose?
Bisher gibt es kein einfaches Diagnoseinstrument für die Erkrankung. Die Diagnose „Long COVID“ oder „Post COVID“ wird als Ausschlussdiagnose gestellt – das heißt, wenn nach einer Infektion mit dem Corona-Virus die beschriebenen Symptome auftreten und mit Hilfe verschiedener Untersuchungsmethoden Krankheiten mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden können.
Die Diagnostik besteht aus einem ausführlichen Anamnese-Gespräch sowie aus verschiedenen körperlichen Untersuchungen, die je nach Beschwerden und individueller Situation der Patientin oder des Patienten festgelegt werden. Dazu gehören unter anderem ein Elektrokardiogramm (EKG), eine Echokardiographie, Labordiagnostik und die Überprüfung der Lungenfunktion. Neurokognitive Tests, wie der aus der Demenz-Diagnostik bekannte „MoCA-Test“ (MoCA steht für Montreal Cognitive Assessment) können Aufschluss über die Gehirnleistung geben. Mit Fragebogenverfahren kann die psychische Situation der Betroffenen abgeklärt werden.
Außerdem kann man das Blut im Labor auf Autoantikörper untersuchen. Das sind Antikörper, die sich gegen körpereigene Zellen richten. In wissenschaftlichen Untersuchungen traten solche Autoantikörper bei ca. 30 Prozent der Personen mit Chronischem Fatigue Syndrom (CFS) auf, und jetzt findet man sie auch bei einem Teil der Long COVID-Patienten. Es besteht der Verdacht, dass eine Infektion mit dem Corona-Virus ein solches Chronisches Fatigue Syndrom, das mit einer lähmenden Abgeschlagenheit einhergeht, auslösen kann. Wenn nach einer Corona-Erkrankung die Beschwerden, vor allem die Erschöpfung, mehr als sechs Monate andauern, sollte daher das CFS abgeklärt werden. Auf der Homepage der CFS-Ambulanz der Berliner Universitätsmedizin Charité, die zu diesem Thema forscht, findet man dafür Diagnose-Tools.
Welche Therapien gibt es?
Die momentan üblichen Therapieansätze beschränken sich auf die Behandlung der Symptome. In der ambulanten Behandlung gehören vor allem Physiotherapie, Atemtherapie und Ergotherapie zu den Mitteln der Wahl. Wichtig ist, dass die Maßnahmen langsam gesteigert werden und die Betroffenen sich nicht überfordern, damit kein „Crash“ – wie die Fachsprache eine drastische Verschlechterung der gesundheitlichen Situation nennt – hervorgerufen wird.
Bei Schmerzen oder Schlafstörungen können außerdem bestimmte Medikamente helfen. Zur Stresskontrolle kommen Yoga oder autogenes Training infrage. Auch die gezielte Nahrungsergänzung mit Vitaminen und Mineralien kann helfen, wieder langsam zurück zur alten Fitness zu gelangen.
Zu den Übungen gegen kognitive Störungen gehören Gedächtnisübungen – zum Beispiel per App oder Internet. Eine solche Übungsmöglichkeit bildet „MS Kognition“, ein Internet-Projekt zur Stärkung der kognitiven Fähigkeiten, das ursprünglich für Menschen mit Multipler Sklerose entwickelt wurde. Es hat den Vorteil, dass man es selbstständig von zu Hause durchführen kann und der spielerische Ansatz zum Training motiviert.
Was sollten Betroffene im Alltag beachten?
Wichtig ist, dass Long bzw. Post COVID-Betroffene sensibel mit sich selbst umgehen und darauf achten, sich nicht körperlich oder geistig zu überfordern. „Pacing“ nennt man diesen Ansatz, den eigenen Akku stets im Blick zu behalten.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Neben den ambulanten Therapieoptionen bieten Rehakliniken eine Möglichkeit zur tagesklinischen oder stationären Behandlung. Es gibt bislang wenige auf Long COVID bzw. Post-COVID spezialisierte Rehakliniken. Zu den Kliniken mit einem Schwerpunkt in Lungenheilkunde gehören die Kliniken in Bad Ems und Heiligendamm. Einen psychosomatischen Fokus hat beispielsweise die Mittelrheinklinik in Bad Salzig.
Darüber hinaus gibt es erste experimentelle Ansätze, die versuchen, über die symptomatische Behandlung hinauszugehen und langanhaltende Beschwerden bei Post COVID therapeutisch an der Wurzel zu packen. Dazu gehört die Immunadsorption, eine Art Blutwäsche, die die krankmachenden Autoantikörper aus dem Blut entfernen soll. Erste Behandlungsergebnisse bei ausgewählten Patientinnen und Patienten sind vielversprechend. Die Behandlung wird bisher allerdings nur in wenigen Einrichtungen durchgeführt.
Fazit
Long COVID bzw. Post COVID ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die der Forschung allerdings viele Rätsel aufgibt. Worin die genauen Ursachen liegen, ist noch unklar. Ebenso gibt es noch kein eigenes Diagnoseinstrument dafür.
Die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas ist den beteiligten Fachleuten bewusst. Darum hat die Bundesärztekammer ihren Wissenschaftlichen Beirat beauftragt, die zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten zu sichten und eine Stellungnahme zum Post-COVID-Syndrom zu verfassen. Sie soll dazu beitragen, die notwendigen Schritte zur Verbesserung der Prävention, der Versorgung der Betroffenen und Information der Bevölkerung einzuleiten.
Bis zu einer genaueren Klärung beschränken sich die meisten therapeutischen Maßnahmen auf die Linderung der Symptome. Ziel der Behandlung ist es, den Betroffenen behutsam Schritt für Schritt wieder in den Alltag zurück zu helfen.
Um Long COVID bzw. Post COVID soweit es geht vorzubeugen, bleiben aktuell nur die Maßnahmen, die auch für die akute Erkrankung COVID-19 gelten: Einhaltung der Hygienemaßnahmen, wie etwa das Tragen einer FFP2-Maske, und eine vollständige Corona-Schutzimpfung. Wenn Sie noch nicht geimpft sind oder Ihr Impfschutz unvollständig ist, nehmen Sie am besten Kontakt mit Ihrer hausärztlichen Praxis auf.
© Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)
Text: Elke Matuschek, Kompass Gesundheitskommunikation, www.kompass-pr.de . Der Text basiert auf einem Vortrag von Dr. med. Astrid Weber, hausärztlich tätige Internistin und medizinische Leiterin des ambulanten Corona-Kompetenzzentrums in Koblenz auf einer Online-Veranstaltung der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz am 11. Oktober 2022.
Redaktion: Birgit Kahl-Rüther, Mail: bkahl@lzg-rlp.de
Weiterführende Links
- Weitere Information zu Long COVID des Bundesgesundheitsministeriums
- Informationen zum neurokognitiven MoCA-Test (in englischer Sprache)
- Gedächtnis-Übungen zum Selbstdurchführen MS-Kognition
- Homepage des Corona-Kompetenzzentrums Koblenz
- Informationen für Patientinnen und Patienten über Post-COVID-Folgen des Charité Fatigue Centrum
- Informationen für Ärztinnen und Ärzte über Chronisches Fatigue Syndrom und Post COVID-Fatigue des Charité Fatigue Centrum
Telefonische Beratung
Die Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist unter der Nummer 0221 892031, montags bis donnerstags von 10 bis 22 Uhr und freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, erreichbar.
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